Ambulante Versorgung in Ostdeutschland muss verbessert werden !

Berlin. (hib) - Die Situation der ambulanten Versorgung von Patienten in den neuen Bundesländern verbessern möchte die FDP-Fraktion. Sie hat dazu im Deutschen Bundestag einen Gesetzentwurf (14/6054) vorgelegt.

Die Liberalen erläutern, mit den gesetzlichen Änderungen vom Dezember 1999 seien für Ostdeutschland geltende besondere Vorschriften in der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) aufgehoben und die noch vorhandenen unterschiedlichen rechtlichen Rahmenbedingungen für Versicherte, Leistungserbringer und Krankenkassen abgebaut worden. Bestehen geblieben seien aber beträchtliche Unterschiede im Versorgungs- und Ausgabenniveau im Leistungsbereichen der GKV, in denen mit Beginn der Ausgabenbudgetierung die Versorgungsstruktur in den neuen Bundesländern noch nicht an Westdeutschland angeglichen gewesen sei. Hierdurch sei durch die gegenüber den ursprünglichen Erwartungen niedrigere Entwicklung der beitragspflichtigen Einnahmen der Krankenkassen-Ost der Angleichungsprozess ins Stocken geraten.

Nachteile seien ebenfalls dadurch entstanden, dass überregionale Krankenkassen mit Sitz im Westen, aber starkem Mitgliederzuwachs im Osten für die Versorgung ihrer Mitglieder in den neuen Bundesländern Vergütungen an die Kassenärztlichen Vereinigungen im Westen nach niedrigeren «Ostpauschalen» zahlten, so die Freien Demokraten weiter. Diese seien im Wege des Fremdkassenzahlungsausgleichs an die Kassenärztlichen Vereinigungen weitergeleitet worden. Diese «erhebliche Ausweitung des komplizierten Fremdkassenausgleichs» habe insgesamt zu einem Übermaß an Bürokratie und Verwerfungen in der Vergütungsstruktur geführt.

Betroffen von den unterschiedlichen Versorgungs- und Vergütungsbedingungen in den neuen Ländern sind nach Angaben der Fraktion insbesondere die vertragsärztliche Versorgung und die Heilmittelversorgung. In diesen Leistungsbereichen liege der Anteil der Ausgaben je Versicherten zwischen Elbe und Oder nach wie vor deutlich unter 80 Prozent der jeweiligen Leistungsausgaben im Westen.

Um dieses Problem zu lösen, schlagen die Abgeordneten vor, im Sozialgesetzbuch die Kopfpauschalen im Rahmen von Regelleistungsvolumina durch feste Punktwerte zu ersetzen. Zudem bedürfe es einer schrittweisen Angleichung der zur Zeit deutlich unter Westniveau liegenden Preise und Vergütungen im Osten Deutschlands binnen drei Jahren.

Des Weiteren plädieren die Liberalen dafür, dass Vergütungsvereinbarungen vor Ort für alle GKV-Versicherten, die dort wohnen, getroffen werden. Für Bund und Länder entstehen nach Angaben der Fraktion keine Kosten. Für die Krankenkassen in den neuen Bundesländern werde es zusätzliche Ausgaben durch den stufenweisen Angleichungsprozess geben. Dem stünden jedoch erhöhte Einnahmen aus dem Risikostrukturausgleich gegenüber.

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Behinderte aus ihrer Isolation holen

KERNEN/MURRHARDT. Das Projekt soll doppelt helfen. Die Herstellung der neuen Spiel- und Therapiematerialien übernehmen ehemals arbeitslose Menschen. Zum Einsatz kommen die Geräte, die die Diakonie Stetten selbst produziert, bei der Förderung geistig Behinderter.

Von Martin Tschepe

Der Handkreisel ist Gold wert. Das Gerät hilft Erziehern und Therapeuten bei der Arbeit mit autistischen Menschen, mit Männern und Frauen, die kaum jemanden an sich heranlassen, sowie mit autoaggressiven Personen, mit Leuten, die sich selbst schwere Verletzungen zufügen. Peter Karabanov hat das bunte Wunderding mit den kleinen Rädchen, Griffen und Stilen entwickelt.

Geistig Behinderte, die sich selbst verletzen-etwa indem sie mit dem Kopf gegen Türrahmen schlagen-werden häufig an ihren Händen und Beinen fixiert. Der Handkreisel ist für manche dieser Menschen offenbar so interessant, dass sie ihn festhalten und sich mit dem in viele Richtungen beweglichen Teil wie gebannt beschäftigen. Ein jungen Mann habe das Ding mit beiden Händen hinter seinem Rücken festgehalten, und sich auf diese Weise selbst vor den eigenen Schlägen geschützt. Das hat der selbstständige Heilpädagoge Karabanov jetzt bei der Vorstellung der neuen Spiel- und Therapiematerialien berichtet.

Viele der Geräte sind speziell für Erwachsene entworfen worden. Andere seien auch gut geeignet für Buben und Mädchen in ganz normalen Kindergärten, erklärte der Tüftler. Es gebe kaum passendes Spielmaterial für Jugendliche und Erwachsene mit schweren geistigen Behinderungen. Deshalb steht Karabanov, der viele Jahre in einer Wohngruppe mit behinderten Menschen gearbeitet hat, oft nächtelang in der Waschküche in seinem Haus in Hall und tüftelt.

Seine Ideen haben auch die Verantwortlichen bei der Diakonie begeistert. Bei der Neuen Arbeit Dentzer in Murrhardt, einer Dependance der traditionsreichen Einrichtung aus dem Remstal, werden die Geräte aus Holz hergestellt. Das Projekt solle doppelt helfen, sagte Eberhard Brachhold, der Pressesprecher der Diakonie Stetten. Zum einen sind ehemals Arbeitslose in der Walterichstadt damit beschäftigt, die Materialien herzustellen. Die Neue Arbeit Dentzer hofft, mit der Produktion ein zweites Standbein zu bekommen. Bislang werden in Murrhardt in erster Linie Markt- und Weihnachtsmarktstände gefertigt. Das ist ein Saisongeschäft. Ferner hätte der Einsatz der neuen Geräte in der Heilpädagogischen Förderung der Diakonie Stetten bereits erste Erfolge gezeitigt, erzählte die Heilpädagogin Irmgard Strom. Es gelinge, einige der geistig Behinderten aus ihrer Isolation zu holen.

Die neuen Geräte werden beim Tag der offenen Tür der Diakonie Stetten am Sonntag, 14.Oktober, vorgestellt. Karabanov hält um 14 Uhr in der Schlossschule ein Referat.

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Behinderte ohne Gängelband

Neue Rechtsvorschriften und ihre Umsetzung heute Thema bei Tagung in Bielefeld


Bielefeld. Eine ganze Reihe von Erleichterungen und Verbesserungen im Umgang mit der Bürokratie soll das Sozialgesetzbuch IX behinderten Menschen bringen. Es ist seit 1. Juli in Kraft. Seine Umsetzung wird jetzt schrittweise auf den Weg gebracht. In Bielefeld treffen sich heute erstmals Fachleute aus vielen Bereichen der Behindertenarbeit, um zu besprechen, wie die Vorstellungen des Gesetzgebers in Lebenswirklichkeit umgesetzt werden kann.

Den Leitgedanken des Gesamtwerkes, das im Bundestag auf breite Zustimmung gestoßen ist, beschreibt der Behindertenbeauftragte der Bundesregierung, der lippische SPD-Bundestagsabgeordnete Karl Hermann Haack, so: "Das Prinzip der Fürsorge für behinderte Menschen soll dadurch ersetzt werden, dass ihre Möglichkeiten zur Selbstbestimmung gestärkt werden."

Was sich zunächst recht abstrakt anhört, hat eine sehr reale Grundlage. Die "Fürsorge" ist ein in Deutschland historisch gewachsenes System. Sechs sogenannte "Rehabilitationsträger" sind dafür zuständig, den behinderten Menschen zu ihrem Recht auf ein menschenwürdiges Leben zu verhelfen. Krankenversicherung, Rentenversicherung, Sozialhilfe, Jugendhilfe, Unfallversicherung, die Bundesanstalt für Arbeit und die Kriegsopferversorgung bzw. -fürsorge erbringen Leistungen, die den Betroffenen eine "gleichberechtigte Teilhabe am gesellschaftlichen Leben" ermöglichen soll.

Gemeinsame Servicestelle aller Reha-Träger

Doch welche Institution ist im Einzelfall verpflichtet, Leistungen zu erbringen, wer ist "zuständig", wie es im Amtsdeutsch heißt? Das heraus zu finden kann für Betroffene und Betreuer oder Vertrauenspersonen ein schwieriges Unterfangen sein.

Zum Beispiel dann, wenn ein Angehöriger einen Schlaganfall oder einen Unfall mit schweren Folgen erlitten hat.

An dieser Stelle setzt das Sozialgesetzbuch IX mit neuen Regeln an.

So sollen die Rehabilitationsträger in den Kreisen und kreisfreien Städten gemeinsame Servicestellen einrichten, die behinderten Menschen und ihren Vertrauenspersonen Beratung und Unterstützung aus einer Hand anbieten.

Damit das keine Alibiveranstaltung wird, schreibt das Gesetz ausdrücklich vor, dass diese Servicestellen so ausgestattet werden müssen, dass sie ihre Aufgaben umfassend und qualifiziert erfüllen können. Dafür soll besonders qualifiziertes Personal eingesetzt werden.

Hat ein Betroffener bei einem Träger einmal um Hilfe gebeten, so kann er in Zukunft nicht mehr wegen "Unzuständigkeit" abgewimmelt werden. Innerhalb von 14 Tagen muss der Träger feststellen, ob er zuständig ist oder nicht. Ist er zuständig, muss er innerhalb von drei Wochen den Bedarf des Antragstellers feststellen.

Ist er es nicht, gilt für den Träger, an den der Antrag weiter geleitet worden ist, ebenfalls die Drei-Wochen-Frist. Und das Beste: Gerät die Bürokratie in Verzug, kann der Antragsteller eine letzte Frist setzen und sich die notwendigen Leistungen nach deren Ablauf selbst beschaffen. Dies gilt allerdings nicht für die Jugend- und Sozialhilfe, die in Bielefeld derzeit Bearbeitungszeiten von einem halben bis zu über einem Jahr benötigt. Trotzdem wird gerade diese Bürokratie sich umstellen müssen.

Mehr Selbstbestimmung soll behinderten Menschen auch dadurch eingeräumt werden, dass ihnen das Gesetz ein sogenanntes Wunsch- und Wahlrecht einräumt: Die Träger sollen ihren Wünschen nach bestimmten, individuell angepassten Leistungen entsprechen.

Auch den besonderen Bedürfnissen behinderter Kinder, eine auf sie zugeschnittene betreute Freizeit könnte hier ein Beispiel sein, soll nach dem Willen des Gesetzes Rechnung getragen werden. Wählen können die Betroffenen oder ihre Vertrauenspersonen, ob sie Sachleistungen oder Geld bekommen, mit denen sie sich die Leistungen selbst beschaffen. Dieser Bereich wird indes von manchen Fachleuten kritisch gesehen, weil er, analog zur Familienpflege dazu führen könnte, dass kassiert, aber nicht adäquat geholfen wird.

VON PETER STUCKHARD

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