Ankläger fordert lebenslange Haft für Mord an Rollstuhlfahrer

„Tat im Groben geplant“ – Verteidiger plädiert für Totschlag im Affekt
Lebenslange Haft forderte gestern der Staatsanwalt im Prozess um den Mord an dem Rollstuhlfahrer aus Langwasser. Für ihn hat der 30-jährige Angeklagte einen Raubmord begangen. Der Verteidiger beantragte hingegen lediglich sieben Jahre wegen Totschlags im Affekt.

Christian P. ist angeklagt, einen 53-jährigen Rollstuhlfahrer mit über 60 Messerstichen getötet zu haben. Staatsanwalt Thomas Koch begründete seinen Antrag damit, dass der Angeklagte „nun endlich einmal Täter sein wollte“ – nach einem Leben in der Opferrolle. Ein Hinweis darauf sei, dass sich P. sowohl einen Stoßdolch als auch eine Gaspistole zugelegt habe. Außerdem sei er in Geldnot gewesen. Die Tat selbst sei „zumindest im Groben geplant“ gewesen. „Wer so, wie der Angeklagte durchs Leben geht, ist zu vielem fähig. Auch zu einem Mord“, so Koch.

Er beantragte auch, die besondere Schwere der Schuld festzustellen. Zwar wolle er den sexuellen Missbrauch, den P. als Kind erlebt hat, nicht bagatellisieren – aber auch nicht überbewerten. „Es mag zwar eine natürliche Scham dagewesen sein – doch mit zwölf Jahren hätte er sich bereits jemandem anvertrauen können.“

Tat nicht vorsätzlich begangen

In seinem überzeugenden Plädoyer widerspach Verteidiger Jürgen Lubojanski heftig: „Wo hätte P. denn hingehen sollen? Zur Mutter, von der er sich vernachlässigt fühlte? Zum Bruder, zu dem er kein gutes Verhältnis hatte? Oder gar zum Heimleiter?“ Als entlastend für den Angeklagten führte er die Aussage eines Zeugen an, der angegeben hatte, dass sich P. noch am Tatabend mit ihm treffen wollte. Somit sei kein Vorsatz für den Mord an dem Rollstuhlfahrer erkennbar.

Die Tat als solche habe im Affekt stattgefunden, sagte Lubojanski. Dem Angeklagten wurden vom Opfer offenbar kinderpornographische Bilder gezeigt, die P. „als schwere Beleidigung empfinden musste, im Blick auf seine eigene Missbrauchs-Erfahrungen durch F. im Schulheim“. Angesichts der 60 Messerstiche, mit denen der Angeklagte den Rollstuhlfahrer getötet hatte, könne von einem geplanten Raubmord somit keine Rede sein.

Eine Unterbringung in einer psychiatrischen Klinik – wie von Psychiater Peter Wörthmüller in seinem Gutachten empfohlen – lehnte sowohl der Staatsanwalt, als auch der Verteidiger ab. Wörthmüller hatte dies deshalb gefordert, da er P. „als hoch gefährlich für die Allgemeinheit“ einstufte. In seinen Ausführungen bescheinigte der Mediziner P. eine „schizoide Persönlichkeitsstörung“. Er sei nicht in der Lage gewesen, Freundschaften oder Beziehungen über längere Zeit aufrecht zu erhalten und habe auch meist nur Gelegenheitsjobs ausgeübt. Wörthmüller geht daher von einer verminderten Schuldfähigkeit des Angeklagten aus

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Rollstuhlgerechte Abteile auf DB-Nachtzug-Verbindungen

Dortmund (dpa/gms) - Die Deutsche Bahn will vom Frühjahr an in bestimmten Nachtzügen rollstuhlgerechte Wagen einsetzen. Ein neuer Liegewagen mit speziellen Abteilen und Sanitärräumen verkehre zunächst auf den Verbindungen nach Paris, teilte die DB AutoZug GmbH in Dortmund mit. Ab Sommer 2002 sollen die Verbindungen nach Kopenhagen und zwischen Dortmund und München hinzu kommen.

Größere WC-Räume mit angewinkelten Spiegeln und drehbaren Bewegungshilfen am WC-Becken gehörten zu den Verbesserungen, so das Unternehmen. Zusätzlich eingebaute Haltegriffe sollen dabei helfen, höhere Liegen zu erreichen. Auch vergrößerte Gepäckraumkapazitäten wurden zusammen mit der Bundesarbeitsgemeinschaft der Clubs Behinderter und ihrer Freunde in Mainz entwickelt, hieß es.

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Die Behindertenbeauftragte Ina Stein kritisiert mangelnde Einbeziehung behinderter Schüler in normalen Klassen
Schlechte Note für Integration an Regelschulen
VON ANDREAS FRANKE

LAUF – Die Behindertenbeauftragte der Staatsregierung, Ina Stein, stellt dem Freistaat schlechte Noten bei der Integration behinderter Kinder in Regelschulen aus. Sie fordert eine Änderung des Bayerischen Erziehungs- und Unterrichtsgesetzes und drängt auf bessere finanzielle und personelle Versorgung der Schulen für diese sonderpädagogische Aufgabe.

Dass behinderte und nichtbehinderte Kinder gemeinsam im Klassenzimmer unterrichtet werden, ist in Bayern noch die große Ausnahme. Andere Bundesländer sind da schon viel weiter. Ina Stein, vor gut zwei Jahren von der Staatsregierung zur Behindertenbeauftragten ernannt, hat daher nach eigenen Worten „die Integration behinderter Kinder in Regelschulen zu einem ihrer Hauptanliegen“ gemacht.

Ihr Einsatz für behinderte Menschen führte sie kürzlich in die Montessori-Schule nach Lauf an der Pegnitz. „Ich werde fast jeden Tag mit den Schwierigkeiten betroffener Eltern konfron tiert, die ihre behinderten Kinder in einer Regelschule unterbringen möchten“, betont sie. Auf Einladung der privaten Grund- und Hauptschule und des Vereins zur Integration behinderter Menschen „Geinsam leben – gemeinsam lernen“ im Nürnberger Land informierte sich die 60-Jährige über die dortige Integrationsarbeit.

Vorreiter in Bayern

„Die Laufer Einrichtung ist unter den 45 bayerischen Montessori-Schulen Vorreiter bei der Einzelfall-Integration“, sagt Ulrich Reuter aus dem Vorstand des Montessori-Vereins Nürnberger-Land. Acht Mädchen und Buben – sechs mit Down-Syndrom und zwei mit körperlichen Einschränkungen – werden dort mit den anderen Schülern in Regelklassen unterrichtet. „Das reformpädagogische Konzept der Montessori-Pädagogik mit ihrem hohen Anteil an offenen Unterrichtsformen wie Freiarbeit oder Projektunterricht sowie der Verzicht auf Ziffernnoten und das soziale Lernen in heterogenen Gruppen kommen den Lernbedürfnissen von Kindern mit Einschränkungen entgegen“, sagt Schulleiterin Elisabeth Wolfermann.

Doch es gibt auch Probleme, und hier richten sich die Bitten der engagierten Lehrer und Eltern an die Behindertenbeauftragte der Staatsregierung. Dringend notwendig, so Wolfermann, wäre eine pädagogische Fachkraft und die Zuweisung von 24 Sonderpädagogik-Stunden pro Woche. Zurzeit sind es gerade mal drei Stunden. Auf eigene Kosten finanziert der Trägerverein zusätzliche Angebote. Einen gesetzlichen Anspruch auf integrativen Unterricht gibt es nicht. Die unklare schulrechtliche Situation führe zu erheblichen Verunsicherung der Eltern und Lehrer, sagt sie. Ängste, der gemeinsame Unterricht könnte durch Weisung der Schulaufsicht beendet werden, hielten die Beteiligten davon ab, notwendige Verbesserungen einzufordern.

„Es fehlen in ganz Bayern klare gesetzliche Rahmenbedingungen für die Verwirklichung der Integration“, klagt Ulrike Ruppert, stellvertretende Vorsitzende der Landesarbeitsgemeinschaft Bayern „Gemeinsam leben – gemeinsam lernen“. Mit dieser Klage stößt die Mutter einer Tochter mit Down-Syndrom auf offene Ohren bei der Behindertenbeauftragten. Ina Stein drängt darauf, dass rasch ein Passus in Artikel 21 des Erziehungs- und Unterrichtsgesetzes gestrichen wird, den sie – wie auch die engagierten Eltern – als Hemschuh betrachtet: die „Lernzielgleichheit“.

Hemmschuh beseitigen

Danach ist die sonderpädagogische Unterstützung für Kinder mit Behinderung nur dann möglich, „wenn zu erwarten ist, dass die Schüler die Lernziele dieser Schulen erreichen und wenn der Förderbedarf im Zusammenhang mit dem Mobilen Sonderpädago gischen Dienst erfüllt werden kann“. Daran, so bestätigt die Behindertenbeauftragte, scheitere aber sehr häufig die Integration in Regelklassen. Daher müsse der Passus herausgenommen werden, betont sie. Am „Runden Tisch“, den sie Anfang 2000 für das Integrations-Thema eingerichtet hat, wird bereits heftig über Formulierungen diskutiert. Stein möchte aber nicht zulassen, dass nur der eine Absatz durch einen anderen mit letztlich gleicher Zielsetzung ersetzt wird.

Sie möchte auch eine bessere personelle und finanzielle Ausstattung der Schulen für die Integration erreichen. Dazu zählt sie einen Sozialpädagogen pro Schule und mehr Leute für den Mobilen Sonderpädagogischen Dienst. Ina Stein: „Entscheidend für mich ist die Tatsache, dass die integrative schulische Förderung in die Schulpraxis umgesetzt wird und dass Lehrer und Eltern dabei von den Schulbehörden mehr Unterstützung erfahren als dies bisher der Fall war.“ Dabei setzt sie auch auf das angekündigte Gleichstellungsgesetz für Behinderte der Staatsregierung. Ein wichtiger Aspekt, so betont sie, soll darin auch die „Integration behinderter Schüler an allgemeinen Schulen“ sein.

www.behindertenbeauftragte.bayern.de

Kommentar:

Bremser - Integration im Schneckengang

Die Eltern behinderter (Schul-)Kinder haben eine wackere Fürsprecherin. Ina Stein, die als Behindertenbeauftragte an keine Weisung der Staatsre gierung gebunden ist, die selbst ein betroffenes Enkelkind hat und die bei kritischen Tönen auch nicht um ein politisches Mandat fürchten muss, sie hat sich die Integration in Regelklassen auf die Fahnen geschrieben.

Noch immer wird in Bayern stark gebremst bei dem Versuch, behinderte und nichtbehinderte Kinder gemein sam und dauerhaft zu unterrichten. Es gibt erste Ansätze, Kooperationen zum Beispiel zwischen Regelschulen und Förderschulen. Doch nicht selten, so kritisieren Verbände und auch die Beauftragte der Staatsregierung, geschehe die Zusammenarbeit nur an wenigen Tagen im Schuljahr.

Es mag ja bei manchen Politikern den Willen geben, dieses Thema voranzutreiben. Doch vieles klingt nur wie Lippenbekenntnisse. Zwischen politischem Willen und der Wirklichkeit, so klagt Ina Stein, gibt es einen „krassen Unterschied“. Bremser sitzen in vielen Schulverwaltungen, betont sie. Eltern behinderter Kinder, vor allem aber die Kinder selbst müssen immer wieder registrieren, dass sie überall vor Bar rieren stoßen. Nicht nur materielle. Der Paradigmenwechsel, so sagt eine aufgeschlossene Schulleiterin enttäuscht, stehe nur auf dem Papier. Nicht mal das.

Wie ernst es die Staatsregierung mit dem Gleichstellungsgesetz meint, wird sich gerade auch bei der Integration zeigen. ANDREAS FRANKE

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